Sara Ghazi-Tabatabai

Vorwort

Fangen wir mit der Erklärung an. Kompromisslos, oder? Schon Anna Wintour, seit 1988 Chefredakteurin der amerikanischen VOGUE und eine der einflussreichsten Frauen in der Modebranche, meinte: „Sollte jemand meine Art zu direkt finden, sollte er etwas härter im Nehmen werden.“ Jede Frage im folgenden Interview ist „second hand“ x). Jede Antwort feiert dagegen Weltpremiere und ist maßgeschneidert. Und das x) markiert die (Quellenangabe).

Guten Freunden gibt man ein Küsschen?  1)

   Ja, eigentlich schon. Aber heutzutage in Zeiten von COVID-19 muss man ja leider Abstand halten.

1) (Werbeslogan, Ferrero Küsschen, 2003. Natürlich ist es auch die Antwort der Grande Nation auf das Brauchtum des Händeschüttelns von Deutschen oder Briten. Nur die Franzosen konnten die Geste der freundlichen Umarmung überspringen und in Sachen Begrüßung gleich aufs Ganze gehen. Chapeau!)

Ganz Paris träumt von der Liebe?  2)

   Paris ist die romantischste und eine der schönsten Städte der Welt. Und die Liebe ist in Paris sehr wichtig und sehr speziell.

2)  (Schlager, Caterina Germaine Maria Valente, 1954. Wurde mit über 900.000 verkauften Exemplaren nicht nur die erfolgreichste Single von Caterina Valente, sondern auch die deutsche Fassung des Cole Porter Songs „I Love Paris“ aus dessen Musical „Can-Can“.)

Sekt oder Selters?   3)

   Selters! Zu Champagner sage ich jedoch auch nicht nein. Denn solange etwas sprudelt, bekommt man doch immer gute Laune.

3)  (Vgl. Album Marius Müller-Westernhagen, 1980. Lied der Toten Hosen, 1984. Lied von Fettes Brot, 1997. Lied von Matt Roehr, 2011.) 

Was ist die früheste Erinnerung in Deinem Leben?  4)

   Ich stehe allein im Dunkeln und habe Angst.

4)  (Business Insider Deutschland, Wissenschaft, Die erste Erinnerung, die ihr an euer Leben habt, ist vermutlich nicht echt, 19.07.2018.) 

Spieglein, Spieglein, an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?   5)

   Dazu fällt mir die Redewendung „Schönheit liegt im Auge des Betrachters“ ein. Jeder Mensch sollte frei sein, das zu tun und zu denken, was er will. Glücklicherweise kann man uns die Gedankenfreiheit nicht nehmen. Oder sollte ich besser sagen, noch nicht? 
 
5)  (Schneewittchen, Kinder- und Hausmärchen, Stelle 53, Gebrüder Grimm, 1812. Handelnde Personen: Eine schöne Frau, eine bitterböse Hexe, sieben Kleinwüchsige und ein Prinz. Handelnde Gegenstände: Spiegel, vergiftetes Obst, Fußchirurgen-OP-Besteck, ein Sarg aus Glas. Handlungsende: Royale Hochzeit, tote Hexe. Alles ist gut. #andemapfelistetwasfaul.) 

Sie fotografieren keine Mode, sondern fotografieren Situationen. Was nach Mode aussieht, verkauft sich eh nicht?  19)

   Für mich sind in der Fotografie die Emotionen wichtig, die ein Foto ausstrahlt, ob Modefoto oder nicht. In der Tat, Mode nur als Information zu fotografieren wie z. B. heutzutage oft im E-Kommerz, ist für einen Fotografen nicht sehr interessant, aber es erlaubt ihm, sein tägliches Brot zu verdienen. Ein guter Fotograf kombiniert Emotion, Situation und Information. Modefotografie ist, den Menschen zum Träumen zu bringen. Wenn einem das gelingt, verkauft sich die Mode von selbst.

19)  (Zitat, Ellen von Unwerth, Modefotografie, Reportage, Tom Kummer, Das Magazin, Zürich, 1995. Jetzt wieder erschienen in „Tom Kummer Reportagen & Portraits 1987 – 2016“, Werkausgabe Part One, edition metzel, München, 2020. Ellen von Unwerth erfand das Sexy-Image der „Guess-Girls“ und gilt als Entdeckerin der Bardot-Kopie Claudia Schiffer.)

Do you think a photographer is a person obsessed by the fact that things disappear? 20)

  Bin ich mir nicht sicher. Fotografie ist auch, sich intim mit einem Objekt oder einem Menschen zu befassen, ihm nahezukommen. Ein Fotograf ist doch eigentlich nur ein „Voyeur“. Ein Beobachter, der besessen von Dingen oder Menschen ist.

20)  (WEST END CAMERA CLUB, Fotograf Richard Avedon in Egoïste, Interview: Simon Johnson, November 19, 2013. Im Alter von 14 Jahren versuchte sich Richard Avedon zusammen mit James Baldwin als Schriftsteller. Aus James Baldwin wurde einer der bedeutendsten US-amerikanischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Aus Richard Avedon wurde einer der bedeutendsten US-amerikanischen Fotografen des 20. Jahrhunderts. Wege und Ziele.)

Every photograph is packed with lies? 21)

  Ja. Auch, wenn es ein sehr einfaches Bild ist, ist alleine schon die Fotogenität oder Unfotogenität eine Lüge. Der Fotograf spielt so lange mit dem Licht, bis idealerweise das Objekt oder der Mensch vorteilhaft aussieht.

21)  (Zitat, Brian Duffy, britische Fotografenlegende, erschuf auch das legendäre Coverfoto zum Album „Aladdin Sane“ von David Bowie. Duffy schnitzte den roten und blauen Blitz mit einem Lippenstift in das Gesicht Bowies. Der Make-up Artist Pierre Laroche verfeinerte es. Dann wurde das Image an den Airbrush Künstler Philip Castle geschickt.)

Warum dürfen Ihre Models dumm sein? 22)

   Sie dürften dumm sein, da es meistens nur um Äußerlichkeiten geht. Jedoch ist es besser, wenn sie intelligent sind. Dass Models dumm sind, ist aber ein Klischee. Ich kenne ehrlich gesagt nur wenige Models, die dumm sind. Ein gutes Model ist für mich beispielsweise Kate Moss. Die eigentlich von Grund auf nicht sehr außergewöhnlich war. Der aber vor allem, zusammen mit den Fotografen, tolle Bilder gelangen. Diese Professionalität macht aus Kate Moss ein Supermodel. Und wenn man bedenkt, dass sie ihre eigene Modelagentur gegründet hat, zeigt es auch, dass sie intelligent ist. Ein anderes Beispiel wäre Claudia Schiffer.

22)  (Stern, Helmut Newton: Der Mann, der die Frauen kriegte, Interview: Sven Michaelsen, 16.10.2002. Weltbewegend, scheint es, ist bei Helmut Newton gar nichts. Es geht nicht um Physik, nicht um Krieg und Hungersnot, nicht um Alice Schwarzer und Feminismus.)

Wie erkennt man einen Superstar, der noch gar keiner ist? 23)

   Indem man bemerkt, dass die Person etwas ganz Besonderes und Eigenes hat, dass sie oder ihre Arbeit ganz intensive Energien ausstrahlt und sich vom Durchschnitt unterscheidet.

23)  (Handelsblatt, Fotograf David Bailey, Interview: Lazar Backovic, 07.04.2019. David Bailey war der Chronist des Swinging London. Und er diente der Figur des Starfotografen in Michelangelo Antonionis Kultfilm „Blow Up“ als Vorbild. Die Rolle im Film spielte David Hemmings.)

Froh, dass der „Heroin Chic“ schon lange vorbei ist?   24)

 
24)  (salve Magazine, Sara Ghazi-Tabatabai, Interview: Uwe Buschmann.) 

Wenn Hausbesitzer Hausbesitzer heiraten, Reiche Reiche und Analphabeten Analphabeten, dann entsteht nichts daraus. Es ist besser, wenn sich die Gebildeten mit den Ungebildeten zusammentun, die Reichen mit den Armen und die, die Häuser besitzen, mit solchen, die keine Häuser haben, damit sie sich gegenseitig unter die Arme greifen können. Es kann ja nicht sein, dass zwei, die zwei Häuser haben, in das eine Haus ihre Köpfe und ins andere ihre Füße legen. Oder?  28)

   Hahaha, wenn das nur so einfach wäre, mit der Liebe. Schön wäre das. In unserer westeuropäischen Gesellschaft sind arrangierte Ehen fast ausgestorben. Im Iran kämpft die Jugend schon seit Jahren den arrangierten Ehen zu entfliehen. Es ist ihnen auch gelungen. Jedoch darf man sich auch fragen, ob das in jeder Hinsicht ein Geschenk ist. Noch nie gab es so viele Scheidungen und Unverheiratete in Westeuropa. Auch, weil man so viele Freiheiten hat. Es geht nicht unbedingt um Besitz, sondern auch um Mentalität. Meine Lebenserfahrung hat mich gelehrt, dass das Miteinander einfacher ist, wenn man mehr gemeinsam hat.

28)  (Filmzitat, Quer durch den Olivenhain, Regisseur Abbas Kiarostami, Drama/Dokudrama, 1994.)

Während die Sätze bei uns immer prägnanter, kürzer werden, sind die der arabischen Literatur in aller Regel bilderreich und symbolisch aufgeladen. Die arabische Sprache ist ein Spiel mit Worten, Musik in den Ohren der Zuhörer und Leser?  29)

   Ich spreche kein Arabisch. Auch zu wenig Persisch, um das zu beurteilen. Wenn man einen Text von Sloterdijk liest, gibt es Sätze, die mehrere Seiten lang sind.

29)  (du774, Scheherazades Töchter, Editorial, März 2007.)

Klug zu fragen ist schwieriger, als klug zu antworten?  30)

   Wie wahr. Mein Motto stammt trotzdem aus der Sesamstraße: „Der, die, das — wer, wie, was — wieso, weshalb, warum? Wer nicht fragt, bleibt dumm.“ Ich bin der Meinung, dass zumindest keine Frage zu dumm ist.

30)  (Iranische/persische Sprichwörter Teil 1, Redewendungen  — Weisheiten.)