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„Und ich achte auf Details, sehr extrem.
Kurt Russel hat seinen Café mit einem Messer umgerührt,
da wusste ich, welche Art Mann er war.“

 

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Photo Credit © Bernd Ott // Dress: Lala Berlin

Anne Philippi,
FRAGEN ÜBERS FRAGEN

interview,
uwe buschmann

INTELLIGENTE UNTERHALTUNG IST, WENN INTELLIGENT UNTERHALTEN WIRD. ANNE PHILIPPI ZEIGT, WIE MAN DAS MACHT. MIT INTERVIEWS, PORTRÄTS UND REPORTAGEN IN DER VANITY FAIR, VOGUE, GQ, FAZ, WELT AM SONNTAG ODER IM SZ-MAGAZIN. IHR ERSTER ROMAN „GIRAFFEN“ ERSCHIEN 2015. EIN INTERVIEW ÜBER SUPERSTARS, GRÜNE LINSEN UND YOGA ALS ZEITGEIST.

Fr. Philippi, erste Artikel von Ihnen las ich im Musikmagazin Spex, einer Zeitschrift, die im Geiste von Punk und New Wave entstand. Mitwirkende galten als Geschmackspolizei für Popkultur in Deutschland. Das war in den 90er Jahren. Später befanden sich Ihre Interviews dann in der VOGUE, Vanity Fair oder FAZ. Was ist da bloß „schief“ gelaufen?
   Ich weiß, was Sie mit schief meinen. Die Antwort ist einfach. Ich fand die bohemistische, sich als sehr links gebende Welt, sehr schnell einengend, sexistisch und bigotter als alles andere. Außerdem wollte ich reisen, und zwar an Orte, die ich interessant fand und dort Menschen treffen, die ich interessant fand. Das ging am besten bei Vanity Fair.

Eine Karriere als Journalistin/Autorin machen bedeutet das: Sie haben in Ihrer Jugend eifrig Tagebuch geschrieben und viele Brieffreundschaften gepflegt?
   Tagebuch habe ich meistens nie mehr als drei Wochen durchgehalten und da stand immer dasselbe drin: Dass ich Romy Schneider liebe. Brieffreundschaften fand ich entsetzlich. Ich sprach lieber mit den Leuten.

Können Sie eigentlich gut mit Menschen?
   Mit einigen Menschen sofort.

Haben Sie jemals eine andere Ausdrucksform versucht als Schreiben? Gezeichnet, musiziert, was anderes vielleicht?
   Ich war DJ in Berlin, damals zu Beginn der 2000er Jahre. Das war ein großes Glück.

Jetzt leben Sie in L.A. und Berlin. L.A. — City of Angels, The Big Orange, La La Land. St. Vincent aka Annie Clark, die gerade ihre Liaison mit Model/Schauspielerin Cara Delevingne beendete, widmet der Stadt auf ihrem neuen Album den Song „Los Ageless“. Über L.A. gibt es Klischees wie Sand am Meer. Welche Klischees stimmen denn überhaupt nicht?
   Dass alle Menschen dort falsche Brüste haben und oberflächlich sind. Ich hab in dieser Stadt die interessantesten, fortschrittlichsten Menschen getroffen. Und die herzlichsten. Und die schönsten.

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Photo Credit © Bernd Ott // Dress: Lala Berlin


What’s your favorite place in Berlin?
   Tja, gute Frage. Wo es nicht nach Berlin aussieht.

Wann sieht Berlin leider aus wie Berlin?
   Wenn es fix und fertig wirkt.

In den 70er Jahren gab es die „V.I.P. Schaukel“. Eine Fernsehreihe, die unglaublich beliebt und erfolgreich war. Die österreichische Journalistin Margret Dünser machte sie. Darin wurde von der High Society-Prominenz in der ganzen Welt berichtet. Sehen Sie sich als Reporterin Hollywoods, die in dieser Tradition steht?
   Nein, das waren ganz andere Zeiten. Dünser hat das gut gemacht, aber sie hatte ganze Tage mit den Stars. Heute haben sie sieben Minuten in einem Hotelzimmer und müssen damit arbeiten.  

Ist das ein harter Job?
   Hart ist er nicht, ab und zu ist er ein wenig sinnlos und man wünscht sich lieber ein „Handwerk“ zu machen, aber es dauert nicht lange, bis das Gefühl wieder geht. Und dann ist der Job wieder amüsant. Und dann wieder sinnlos…

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Photo Credit © Bernd Ott // Dress: Lala Berlin // Shoes: Topshop


Interviews mit Jeff Bridges, Liv Tyler, Mike Tyson, Winona Ryder, Julian Schnabel, Bill Murray, Jane Fonda, Bret Easton Ellis, John Galliano, Hedi Slimane etc. Es gibt fast niemanden, mit Rang und Namen in Film, Kunst, Musik, Literatur oder Mode, der Ihnen fehlt. Wie kamen Sie darauf, sich thematisch auf Superstars und Celebrity-Kultur zu konzentrieren?
   Ich war immer an Hollywood interessiert, an Stars, an Ruhm. Aber die Antwort auf diese Frage ist sicher, weil ich selbst berühmt sein wollte.

Und heute? Sind Sie es, berühmt?
   Noch nicht genug.

Viele Journalisten würden den Rest des Tages zehn Zentimeter über dem Fußboden schweben. Aber was bedeutet es Ihnen, mit all diesen Leuten gesprochen zu haben?
   Es bedeutet mir viel, ich habe viele Dinge fürs Leben gelernt, vor allem von den älteren Stars, das war immer toll. An das Interview mit Jeff Bridges denke ich regelmäßig. Er war wie mein Vater hätte sein sollen.

Klingt als wäre ein Interview auch ein bisschen Selbsttherapie?
   Das ist es immer. Wenn es ein gutes Interview ist.

Haben Sie eine Sammelmappe zu Hause mit den besten Print-Artikeln von sich darin?
  So was wünsche ich mir, aber ich schaffe es nie und google alles.

Gibt es noch Interviewpartner, die Sie unbedingt befragen wollen?
   Roman Polanski.

Wieso gerade ihn?
   Weil ich über ihn die meisten Phantasien hege.

Was denn für Phantasien? Oder dürfen Sie nichts verraten, weil es sonst nicht in Erfüllung geht?
   Ich frage mich wie er ist, welche Art Mensch und wie seine Filme mit seiner Holocaust-Geschichte in Verbindung stehen. Überhaupt sein ganzes Leben. Der Film „Ekel/Repulsion“ mit Catherine Deneuve ist für mich so eine unfassbare Geschichte, so was habe ich nie mehr gesehen. Später.

Wie gehen Sie bei Ihrer Recherche vor? Wie arbeiten Sie?
   Ich lese, was es gibt. Und dann schaue ich mir die Augen des Interviewpartners an und schaue, ob er oder sie gut gelaunt ist. Und ich achte auf Details, sehr extrem. Kurt Russel hat seinen Café mit einem Messer umgerührt, da wusste ich, welche Art Mann er war.

Mmh, da ich weder Kaffee trinke, noch in der Schule besonders gut in Physik war, muss ich nachfragen: Und welche Art Mann tut das?
   Ein Mann, der Baumärkte liebt und keinen Espresso verträgt.

Wäre ein Albtraum für mich. Wenn sich jetzt herausstellt, dass Snake Plissken („Die Klapperschlange“) bzw. R.J. MacReady („Das Ding aus einer anderen Welt“) keinen Espresso verträgt, zertrümmert das einige Illusionen meiner Jugend! Das finale Fazit des Zeitungsredakteurs in John Fords Western „Der Mann, der Liberty Valance erschoss“ lautet: „Wenn die Legende zur Wahrheit wird, druck die Legende.“ Es gibt oft Geschichten, die zu schön sind, um nicht wahr zu sein. Sie haben viele Leute getroffen und über ihr Leben befragt. Was haben Sie bei Ihrem Gegenüber lieber gefunden, die Legende oder die Wahrheit?
   Wenn die Stars älter sind, sagen sie die Wahrheit, sie wissen längst, dass alles andere lächerlich ist.

Ist das die Weisheit des Alters, die dann spricht? Oder ist es, weil diese Stars ihr geliebtes goldenes Kalb längst im Trockenen haben?
   Es gibt keine Altersweisheit, glaube ich, nur die Einsicht, dass man sich immer weniger selbst belügen kann, und es nicht klappt, wenn man es versucht.

In einem Text über die Beastie Boys outen Sie sich: Als Teenager war Mike D Ihre große Schwärmerei. Um damals an ihn „heranzukommen“, wären Sie sogar Käfig-Tänzerin auf der Tour geworden. Vom Fall „Mike D“ mal abgesehen und ganz allgemein gefragt: Was sagen Sie, wie viel „persönliche Note“ braucht bzw. verträgt denn ein guter Text?
   Am besten ist er 100% persönlich, ohne den Autor als Thema zu haben.

Was mich da immer interessiert hat, ist: Wie kriegt man das hin?
   Man schreibt so, als wäre man selbst der Star.

Sie liegen neben Lindsay Lohan am Pool eines Partyhotels in Palm Springs. Sie berichten über Al Pacinos „Klassentreffen für einen König des Narco-Glam“ in Downtown L.A. Sie sind eingeladen zum Hausbesuch bei James Ellroy. Sie sitzen neben Hank Moody aka David Duchovny in einem alten Porsche. Würden Sie so weit gehen und zustimmen, dass Sie inzwischen selbst den Mythos Hollywood leben?
   Das Lustige ist: das ist gar nicht möglich. Als Journalist zählt man nichts in Hollywood, man ist ein Medium, kein Mensch, keine Macht. Deshalb kann man wiederum alles erzählen, was man sieht.

Aber Ihr Lebensstil hat sich doch bestimmt kolossal verändert, seit Sie anfingen, oder nicht?
   Hm, gute Frage, irgendwie nicht so. Aber ich sehe andere Dinge als früher. In Menschen und Situationen.

Der kleine Prinz George isst in der Schule leidenschaftlich gerne grüne Linsen aus dem zentralfranzösischen Puy-En-Velay. Heidi Klum trennt sich von Vito Schnabel. Die Menschen interessiert so etwas ja brennend. Was sagt das über uns?
   Die Menschen lieben Details, sie identifizieren sich damit mehr als mit großen Theorien. Diese grünen Linsen, sie bedeuteten etwas. Und dass Heidi sich von Vito trennt, und nicht umgekehrt, spricht Bände.

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Photo Credit © Bernd Ott // T-Shirt: Gucci // Shoes: Topshop


Stars in Film, Musik und Sport, gibt’s ja schon ewig und fünf Jahre. Heute tauchen Stars auch unter YouTubern, It-Girls oder Influencern auf. Wie haben sich Hollywood und das Konzept des Stars in den letzten Jahren verändert?
   Das ganze System Hollywood verändert sich seit einiger Zeit und seit der Weinstein-Affäre noch mehr. Der große Wechsel ist, dass Stars aus der digitalen Welt selbstbestimmt sind, autark, und von keinem Studio abhängig. Das neue digitale Starkonzept verändert die Entertainment-Welt.

Ein Buch, ein Buch, ein Königreich für ein eigenes Buch. Davon, so scheint es, ist früher oder später jeder im Journalismus beseelt. Bei Ihnen dauerte es bis zum Debüt-Roman etwas. Ihr Buch „Giraffen“ erschien 2015. Vorher schrieben Sie Interviews, Kritiken, Reportagen oder Porträts. Wie hat man Sie dazu überredet?
   Tja, ich habe lange gebraucht, um zu erkennen, was ich schreiben muss. Es gab vorher Ansätze, Versuche, aber ich schrieb nie über mich. Irgendwann sagte mein Yoga-Guru ich solle aufschreiben, was mir peinlich sei, wenn ich ein Buch schreibe. Und ruckzuck hatte ich 70 Seiten. Jetzt weiß ich, was zu tun ist, das nächste kommt bald.

Schreibt man, was man selbst gerne lesen würde?
   Wenn man es nicht gern liest, ist es kein gutes Zeichen. Ich achte immer darauf, ob sich wenigstens ein paar Nackenhärchen vor Stolz aufstellen, wenn ich was von mir lese.

Der Roman handelt von Eva und Henry. Von ihrem leeren Sex, Drogen und exzessivem Leben. Haben Sie das alles so oder so ähnlich einmal persönlich erlebt? Oder reichte Beobachten und Phantasie aus, um darüber zu schreiben?
   Ich habe einiges erlebt, vieles dramatisiert. Wenn man das nicht erlebt hat, hatte man offenbar keinen Hang zu solchen Dingen. Und dann wüsste man auch nicht, warum man über so eine Zeit im Leben schreiben sollte. Nach dem Buch kannte ich mich besser, als je zuvor.

Und mochten Sie sich danach mehr oder weniger?
   Zuerst war ich entsetzt über mich, dann mochte ich mich lieber, viel lieber!

Bei Ihrer Buchpromotion standen Sie dann auf der anderen Seite. Sie gaben die Antworten und waren nicht die Fragenstellerin. Könnte es sein, dass so eine Umstellung zunächst für Verwirrung sorgt? Hätten Sie sich in den Interviews manchmal die „besseren“ Fragen gestellt?
   Nein, sicher nicht. Die meisten Fragen an mich waren interessant und authentisch. Viele „beichteten“ mir ihre Geschichten, die ähnlich klangen, das war eine sehr tolle Erfahrung.

Er läuft und läuft und läuft. Was früher mal ein bahnbrechender Werbespruch für den VW Käfer und fanatische Jogger war, ist überholt. Heute will jeder ein E-Auto fahren und besucht Yogakurse. Warum steht die ganze Welt gerade jetzt Kopf und macht Yoga?
   Als Autor kann ich nur sagen, es hilft dem Gehirn Höchstleistungen zu erbringen, und es verändert die Person, meine, in eine gute Richtung.

Fr. Philippi, warum gibt es keine dummen Fragen, sondern nur dumme Antworten?
   Weil nicht alle Menschen in derselben Welt leben.

Anne Philippi,

TOP 5 DER KOMPLIZIERTEN HOLLYWOOD MÄNNER

1) Don Draper
2) Omar Sharif
3) James Franco
4) Adam Driver
5) Hank Moody

Photographer // Bernd Ott // http://berndott.net/
Fashion Editor/Styling // Sabine Berlipp // @sabine_berlipp  @stiliste__

Hair & Make-Up // Sarah Hartgens using Hiro & Davines // @sarahhartgens
Assistent Photographer // Sebastian Marggraf // http://www.sebastianmarggraf.de/
Location: Restaurant Borchardt, Berlin-Mitte / 1. Og // Thanks to Roland Mary!

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